DMZ – POLITIK ¦ Dirk Specht ¦
KOMMENTAR
Mein Beitrag zum Industriestrompreis hat eine wertvolle Debatte mit der beigefügten Quelle aus dem Hause Habeck initiiert. Diese Quelle führt auf einen Aspekt, den ich hier leider nur spekulativ äußern kann. Das hätte ich früher als Journalist gerne aufgeklärt und ich hoffe sehr, dass heutige Kollegen solchen Spuren mal nachgehen.
Vor zwei Monaten lag mir der erste Referentenentwurf zum Industriestrompreis vor. Der umfasste nur so kryptische Dinge wie PPA- bzw. CFD, also konkrete Stromvertragsformen im Markt. Das hatte ich gestern kommentiert und ich will nun ergänzen, dass jenseits der Frage, wie man das bewertet, hier klar erkennbar ist, dass die Autoren dieses Entwurfs sehr genau verstanden haben, wie der Strommarkt heute funktioniert. Bis zur Frage, wie Projekte durch Banken finanziert werden und welche bilanziellen Nachteile sich tief in den Büchern oder bis zum Rating von Unternehmen bilden können. Das haben definitiv sehr kompetente Leute entworfen und wie ich gestern kommentierte, ist es strukturell vor allem nichts anderes, als Marktteilnehmern einen Rechtsrahmen zu setzen, um wirtschaftlich handeln zu können und dabei Hürden sowie Nachteile aus dem Weg zu räumen. Der Staat muss hier ggf. Bürgschaften übernehmen, um Investitionshemmnisse aus dem Weg zu räumen. Er ermöglicht aber damit je nach Marktentwicklung zu große Vorteile, die er mit diesem Konzept zugleich begrenzt. Es wird hier also zumindest das Ziel verfolgt, dem Markt Freiheiten zu geben, asymmetrische Vorteile zu begrenzen und den direkten Einsatz staatlicher Finanzmittel möglichst sogar auszuschließen. Mit „Subventionen“ hat das gar nichts zu tun, es ist fast schon eine neoliberale Idee, denn dieser Entwurf nimmt an keiner einzigen Stelle den Marktakteuren die Pflicht, selbst aktiv zu werden und die eigenen Interessen in die Hand zu nehmen.
Bis heute wird dieser tragende Teil des Industriestrompreises, also der ursprüngliche Entwurf des Hauses Habeck, nirgendwo erklärt oder diskutiert. Zwei Monate später, Anfang Mai, legt das Ministerium nun eine Art „Presse-Papier“ vor, in dem eine ganze Menge weiterer Maßnahmen beschrieben ist, die aber teilweise aus ganz anderen Quellen und Gründen ohnehin bereits geplant waren und mit dem Auftrag Habecks an seine Leute konkret zum Industriestrompreis unmittelbar nichts zu tun haben. Das darf man also als Zusammenfassung sehen, welche Maßnahmen insgesamt – auch – auf den Strompreis für die Industrie wirken können. Kein Einwand, das mal so zu tun, aber die öffentliche Bewertung, die sich gerne vor allem daran orientiert, wer eine Idee vorlegt, geht damit mal wieder komplett indifferent um.
So findet sich hier unter anderem der Vorschlag eines „Brückenstrompreises“, der im ursprünglichen Entwurf gar nicht genannt ist. Dazu ist zunächst auffällig, dass sich das Papier sehr klar von dieser Idee distanziert. Es wird ordnungspolitisch vollkommen korrekt heraus gearbeitet, dass so ein Eingriff, der tatsächlich eine Subvention von Preisen ist, gut zu begründen ist, nur einem geeigneten Empfängerkreis zukommen darf und zeitlich klar zu begrenzen ist. Flankiert wird das ganze Paket übrigens durch die Senkung von Abgaben auf den Strompreis, weil es keinen Sinn macht, Preise zu subventionieren und dann über Abgaben wieder zu belasten. Auch das wird derzeit gerne öffentlich als Kritikpunkt von politischen Gegnern geäußert, obwohl es sehr wohl bereits Bestandteil des Entwurfs ist.
Dieser „Brückenstrompreis“ ist aber vor allem nichts anderes als der Vorschlag, die sogenannte „Strompreisbremse“ für gewisse Empfänger und zeitlich klar begrenzt zu verlängern. Also ein Instrument selektiv zu nutzen, das bereits im Einsatz ist. Ich finde es bemerkenswert, dass hier der ehrliche Begriff des „Brückenstrompreises“ gewählt wird und zudem kein Zweifel daran besteht, dass es sich um eine Preissubvention handelt. Das liest sich bei den sogenannten „Preisbremsen“, die nämlich genau dasselbe sind, bisher ganz anders.
Dieses Konzept aber stammt aus einem anderen Zusammenhang, nämlich den sogenannten „Gas- und Strompreisbremsen“, die ich gestern hier gar nicht erst kommentiert habe, weil ich das komplett falsch finde und nicht unter „Industriestrompreis“ verstehe. Das beigefügte Papier erläutert zudem korrekt den Rahmen, in dem das stattfinden soll. Leider hat sich nämlich auf EU-Ebene die Idee durchgesetzt, den Strom-Markt in seinen wesentlichen Strukturen zu erhalten, was zu keiner Reduktion der viel zu hohen Preise führen wird. Das ist inzwischen aber sogar so gewollt, denn zugleich ist der EU und allen Regierungen, die das nicht nur tragen, sondern so wollen, klar, dass eben deshalb vielen Stromerzeugern, deren Herstellungskosten nämlich parallel weiter sinken, sehr hohe Gewinne ermöglicht werden. Diese Gewinne sollen als Sonderabgabe im Strommarkt direkt abgeschöpft und von den Staaten zur Milderung der Energiepreise eingesetzt werden.
Ich hatte das oft genug und mit nicht fehlender Deutlichkeit kommentiert. Davon ist gar nichts zu halten, es vermeidet nur das dickere Brett einer Reform des Markts und schafft ein weiteres gigantisches Umverteilungsinstrument, weil die zu hohen Preise zunächst weiter bezahlt werden sollen, um dann durch den Staat mit welchen Maßnahmen auch immer wieder gemildert zu werden. Immerhin führt das deutsche Konzept des unmittelbaren Eingriffs im Zwischenhandel VOR der Bildung von Endpreisen dazu, dass dieses überflüssige, teure und ineffiziente Umverteilungsmonster bei den Endverbrauchern gar nicht erst ankommt. Sinkende Preise, die sich endlich mal den sinkenden Erzeugungskosten nähern, werden wir dadurch aber lange nicht sehen. Zudem ist wie bei allen größeren Umverteilungssystem letztlich intransparent, wer mit welchen Endpreisen letztlich wen subventioniert. Hier kommt hinzu, dass die Instrumente zur Abschöpfung der zu hohen Preismargen erst in Vorbereitung und rechtlich in ihrer Ausgestaltung alles andere als sicher sind, ihr Aufkommen daher gar nicht quantifizierbar ist. Daher muss dieser „Brückenpreis“ nun zunächst mal durch allgemeine Steuermittel geplant werden.
Insofern habe ich gewiss keine Sympathie für diesen „Brückenstrompreis“, aber das ist nicht gleich dem „Industriestrompreis“ von Habeck und es ist sogar erkennbar, dass die Autoren des Papiers es vielleicht ganz ähnlich sehen. Nun erinnern wir uns an der Stelle mal an die erste dieser sogenannten „Preisbremsen“, das war nämlich der „Tankrabatt“, also Lindners Konzept. Dann erinnern wir uns an die Sache mit den Gaspreisen, bei der Habeck zuerst eine Umlage im System und KEINE staatliche Subvention vorgelegt hatte, die öffentlich komplett wirr zerredet wurde, ebenfalls von Lindner, flankiert dann von Scholz, um letztlich in diesem Monster namens „Gaspreisbremse“ zu münden, die eine zwei- bis dreistellige Milliardensubvention des Staats ist – was die ursprünglich geplante Umlage nämlich nicht war. Die Union, das sei ausdrücklich erwähnt, hat an dieser politischen Wendung zwischen Erstentwurf und tatsächlicher Umsetzung in allen Fällen kräftig mitgewirkt!
Wenn mich nicht alles täuscht, tragen diese „Preisbremsen“ viel mehr die Handschrift von Scholz und Lindner, mit freundlicher Unterstützung von Merz&Co, während ich aus dem Hause Habeck strukturell bisher ganz andere – und ordnungspolitisch viel saubere – Konzepte gesehen habe. Schade, dass niemand tiefer recherchiert, welcher Koch uns hier welche Speise serviert, um sich dann hinterher mit „Habeck ist schuld“ darüber zu beschweren – oder sich schlicht raus zu halten und gar nichts zu sagen. Mir fehlen auch die Hintergründe, um das grüne Lager selbst zu sortieren. So hatte ich beispielsweise Habeck selbst zwischen den Zeilen in der Frage der Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke viel offener empfunden, als es später Politik wurde. Auch solche Fragen wie die konkrete Unterstützung der Industrie bei den Strompreisen dürfte bei den Grünen keine einheitliche Position finden. Dasselbe gilt für umfassendere Reformen des Strom-Markts, denn der trägt immer noch Grundzüge aus der Regierungszeit von Trittin und die gesamte Lobby der Erneuerbaren, deren Mitwirkender zu sein, mir gerne angehängt wird, kämpft hinter den Kulissen dafür, die Politik der hohen Strompreise und der weiter wachsenden Margen von Wind- und PV-Parks so fortzusetzen.
Die Position von Habeck kann ich da schlecht einschätzen, aber er und seine direkt verantwortlichen Leute zeigen immer wieder einen weiteren Horizont und ein sehr fundiertes Verständnis für Marktsystematik. Was die vorlegen, sind fast immer genau gar keine Umverteilungs- oder staatliche Interventionsregelungen, sondern teilweise schon fast neoliberale Konzepte, bei denen entweder Dinge wie Emissionen knallhart reguliert werden oder wie hier gesetzliche Rahmenbedingungen für direkte Verträge zwischen Marktakteuren geschaffen werden, die denen die Barrieren nehmen, ohne ihre unternehmerische Pflicht oder die damit verbundenen Risiken unangemessen einzuschränken. Ob das Habeck selbst oder ein kleiner Zirkel im Ministerium ist, ob es grüne Strukturen sind oder solche, die jetzt eine Chance sehen – ich weiß es nicht, aber es ist deshalb wichtig, weil es das beste ist, was wir derzeit haben und das ist verdammt wenig!
Das entspricht natürlich überhaupt nicht dem typischen Bild von grüner Politik oder Habeck selbst und vor allem: Es setzt sich leider in der konkreten Regierungspolitik nicht durch. Nach der Gasumlage kommt hier die nächste relevante Initiative aus dem Hause Habeck, die sich von den ersten Konzepten immer weiter entfernt und die auch noch lange nicht fertig ist. Was da wirklich raus kommt, ist abzuwarten und es wäre eine journalistische Recherche wert, welche Einflussfaktoren hinter den Kulissen zu dieser merkwürdigen Genese führen. Die Frage wäre in der Tat, warum dieses aus meiner Sicht einzige Pflänzlein an modernerer und wirklich Veränderung wollender Politik auf allen Ebenen scheitert: Wohl bereits in der eigenen Partei, in der Regierung – und offensichtlich auch in der öffentlichen Wahrnehmung?
Ich habe dazu nur eine These, die mir vermutlich wieder den „Vorwurf“ einbringt, doch „nur“ ein Grüner zu sein: Tatsächlich erkenne ich in der Spitzenpolitik nur in der Person Habeck und vermutlich in einem sehr kleinen Kreis um ihn herum echtes Potenzial, politisch, operativ, von den Kompetenzen bis zum Willen, etwas zu verändern. Das hat wohl bereits bei den grünen parteiintern bis zu allen anderen politischen Kreisen eine umfassende Kampagne ausgelöst, diese Person und ihre Politik zu verhindern, mehr noch, sie zu beschädigen. Ich vermute, dass sich dafür eine größere Allianz findet, die von politischen Wettbewerbern bis zu den Kreisen führt, die durch so eine Veränderungspolitik in ihren geschäftlichen Interessen berührt sind.
Mit den Interessen unseres Landes ist das nicht vereinbar. Es wäre im Gegenteil dringend geboten, sich mit den Inhalten dieser Politik auseinanderzusetzen, diese selbstverständlich zu kritisieren, ihr aber vor allem weitreichendere Alternativen gegenüberzustellen. Ich will hier also politischen Wettbewerb keineswegs eingeschränkt wissen, ganz im Gegenteil ist der sogar viel zu gering, ein Habeck mit einem kleinen Team reicht nicht und nur eine Denkrichtung ebenfalls nicht. Wir brauchen viel mehr davon und die sollen um Lösungen streiten.
Davon findet aber nichts statt und die Debatte über den Industriestrompreis ist sogar ein kaum fassbarer Rückschritt, denn hier wird der eigentliche Beitrag von Habeck und seinen zuständigen Verantwortlichen vollständig ignoriert. Der wird nicht erklärt, der wird nicht debattiert, nicht kommentiert und von politischen Gegnern auch nicht beantwortet. So findet das Land keinen Weg in die Moderne. Die viel zu wenigen Ansätze dazu werden nicht weiter entwickelt, sondern mit voller Absicht unter den Teppich gekehrt und zertrampelt.
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