DMZ – BLICKWINKEL ¦ Ruedi Stricker ¦
Es ist noch nicht so schlimm wie in Barcelona oder Amsterdam. Dennoch müssen sich auch in unserem schönen Krachenwil mehrere Task Forces um die Folgen des ausufernden Tourismus kümmern. Als erstes Ergebnis sei hier die Arbeit der Projektgruppte «Souvenirs» präsentiert.
«Chlepfarsch R»
Als Standardsouvenir gilt ab 1. September 2019 der vom Gemeindewappen hergeleitete Krachenwiler ChlepfarschR. Diese weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Chronik unserer einzigarten Gemeinde besticht in der Luxusausführung der 11. überarbeiteten Auflage durch handgeschöpftes Büttenpapier und Ziegenleder aus einer der ältesten Gerbereien der Lombardei. Aber selbstverständlich geht es im Wesentlichen nicht um die opulente Aufmachung, sondern um den Inhalt: Eine komplett überarbeitete Fassung der Historie unter Berücksichtigung zeitgenössischer formaler Vorgaben, wie sie nachstehend kurz skizziert sind.
Kohlendioxid
Auch wenn es in den bisherigen Auflagen der Chronik weniger zum Ausdruck kommt, waren die Krachenwiler seit jeher Vorreiter beim Schutz des Klimas. Wie weitsichtig die Bevölkerung schon früh dachte, zeigt das Resultat der Volksabstimmung von 1924, als sich fast die Hälfte der Stimmberechtigten gegen die Ablösung der Pferdefuhrwerke durch Automobile aussprach. Als Hommage an diese Tradition und im Bemühen, den «ChlepfarschR» absolut klimaneutral herzustellen, haben sich sämtliche Mitarbeitenden der Druckerei bereit erklärt, ihre nächsten Ferien nicht auf den Malediven, sondern im benachbarten Europa zu verbringen (Spanien, Ägypten, Grönland usw.).
Chromosomen
Während in den bisherigen Auflagen als Stadtgründer noch Willibald von Speckburg genannt wurde, wird nun endlich seine Gattin Brunhilde aus dem Haus Niederzollern ins rechte Licht gerückt. Ohne ihr aufopferndes Wirken am schwierigen Charakter ihres meist angetrunkenen Ehegatten wäre Krachenwil wohl heute noch ein mückenverseuchter Sumpf. Ihr ist es auch zu verdanken, dass das berüchtigte Bordell an der Stelle, wo heute das Rathaus steht, obrigkeitlicher Brandschatzung zum Opfer fiel. Um der historischen Wahrheit zu genügen, wird Willibald von Speckburg immerhin noch im Quellenverzeichnis aufgeführt.
Laktose
Die einseitige Formulierung «Jäger und Sammler» wird weder der historischen Wahrheit noch den pädagogischen Erfordernissen gerecht. Das Lektorat hat mit grösster Umsicht und viel Sachkenntnis sämtliche kritischen Passagen durch sinnvollere Episoden ersetzt. Angepasst wurde auch die dem berühmten historischen Vorbild der Kappeler Milchsuppe entlehnte Geschichte vom Krachenwiler Butterbrot. Laktoseintolerante werden mit Genugtuung feststellen, dass der unselige Begriff «Butter» durch «Brotaufstrich» ersetzt wurde. Im Übrigen geht es in der Neuauflage nicht mehr verallgemeinernd um Brot, sondern ausdrücklich um «Glutenfreien Materialträger für Aufstriche». Nicht ganz unumstritten war im Lektorat allerdings die Verwendung von Tofu anstelle von Schweinefleisch anlässlich des berühmten Spanferkelfressens vom 13. August 1635 zur Feier der Ersäufung von plündernden schwedischen Reitern im Gebiet des heutigen Rieds.
Akademiker
Besonderes Augenmerk wurde bei der Überarbeitung auf die Korrektur von abwertenden Berufsbezeichnungen gelegt. Aus der despektierlichen Bezeichnung «Pfaffen» wurde so die kirchliche Würdenträgerschaft, und der Dorfvogt heisst in der aktuellen Auflage nun CEO Chief Executive Officer. Dem Anliegen der Ärztevereinigung wurde ebenfalls Rechnung getragen, indem die berühmten Pfuscher (Quacksalber) Pankratz Wagner sowie Rochus Dinglinger posthum mit dem Doktortitel der Medizinischen Fakultät geehrt wurden. Abgelehnt wurde hingegen die Beförderung des berüchtigten Henkers Martin Köpfer zum dipl. Justizterminator. Klarheit geht vor Ästhetik.
Das Werk kann von Einheimischen ab sofort zum Subskriptionspreis von 299 Franken reserviert werden. Die Auslieferung erfolgt ab Ende August in der Reihenfolge des Bestellungseingangs.
Der Ratsschreiber
Ruedi Stricker
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