DMZ – WISSENSCHAFT ¦ Markus Golla ¦
Wer im Alter einmal gestürzt ist, hat ein erhebliches Risiko für einen erneuten Sturz. Bereits die Angst vor Stürzen kann die Lebensqualität und Selbstständigkeit erheblich einschränken, weiß Geriater OA Dr. Walter Müller, MSc. vom Elisabethinen-Krankenhaus Klagenfurt. Stürze werden an seinem Department für Akutgeriatrie als auch im Rahmen der mobilen geriatrischen Rehabilitation behandelt. Zu den wichtigsten Pfeilern in der Sturzprophylaxe im Alter gehört neben körperlicher Bewegung die Anpassung der Medikamentation und des Wohnraums. Zudem helfen Trainings wie „Fit für 100“ älteren Menschen, wieder sicherer auf den eigenen Beinen zu stehen.
Interview mit Geriater OA Dr. Walter Müller, MSc
Wenn ältere Menschen hinfallen, hat das oft schlimme Konsequenzen, denn Stürze führen in vielen Fällen zu schwereren Verletzungen, die zum Verlust der Selbstständigkeit, zu Bettlägerigkeit und sogar zum Tod führen können. Welche Rolle dabei die Knochendichte und bei Frauen die Hormone spielen und welche schwerwiegenden Folgen z. B. eine Schenkelhalsfraktur haben kann, erläutert Departmentleiter OA Dr. Walter Müller, MSc. vom Elisabethinen-Krankenhaus in Klagenfurt.
Wie hoch ist das Sturzrisiko im Alter?
OA DR. WALTER MÜLLER, MSC: Es gibt Schätzungen, dass rund 30 von 100 Personen über 65 Jahre einmal im Jahr stürzen. Bei Heimbewohnern ist die Rate höher als bei Menschen, die zu Hause leben.
Warum stürzen ältere Menschen häufiger als jüngere?
Die häufigsten Ursachen für Stürze sind Schwindel, Gangunsicherheit oder die Nebenwirkungen von Medikamenten. Wichtig sind auch Gleichgewichtsprobleme, eine verminderte Reaktionsfähigkeit und Sehstörungen. Oft haben die Betroffenen auch Herz-Kreislauf- oder neurologische Erkrankungen wie Epilepsie, oder Morbus Parkinson.
Wo passieren die meisten Unfälle?
Die meisten Unfälle passieren zu Hause, bei einem Sturz über die Teppichkante, bei rutschigem Boden mit unpassendem Schuhwerk, oder schlechter Beleuchtung (nächtlicher WC-Gang).
Warum sind Stürze bei älteren Menschen so gefährlich?
Schon scheinbar harmlose Stürze haben bei Senioren oft sehr böse Folgen. Sie bedingen nicht nur schmerzhafte Prellungen, Verstauchungen und Blutergüsse, sondern auch schwere Verletzungen wie Knochenbrüche, vor allem im Bereich des Oberschenkels, des Handgelenks oder der Schulter. Schwere Kopfverletzungen mit Gehirnblutungen sind ebenfalls häufig. Oft brechen auch Wirbelkörpern schon bei „falschen Bewegungen“, oder beim Heben vom Einkaufskorb.
Warum brechen „alte Knochen“ leichter?
Mit dem Alter steigt das Risiko an Osteoporose (Verminderung der Knochendichte) zu erkranken. Bei dadurch geschwächten Knochen passieren Brüche schon bei nur geringer Krafteinwirkung.
Lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines durch Osteoporose bedingten Knochenbruchs abschätzen?
Zur Messung der Knochendichte wird eine spezielle Röntgentechnik verwendet. Dabei wird die Abschwächung der Röntgenstrahlen beim Durchtritt durch den Knochen bestimmt, dieser Wert wird dann mit Normalwerten verglichen. Um eine noch genauere Aussage über das Risiko, in den nächsten Jahren aufgrund von Osteoporose einen Knochenbruch zu erleiden zu bekommen, gibt es sogenannte Risikorechner (z.B. der FRAX Score). Damit kann unter Berücksichtigung von klinischen Risikofaktoren und Messung der Knochendichte am Schenkelhals die 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit eines durch Osteoporose bedingten Knochenbruchs abgeschätzt werden. Die Knochendichte kann man am Institut für Radiologie im Elisabethinen-Krankenhaus messen lassen.
Wenn sich Frauen nach den Wechseljahren oder im Alter die Knochen brechen, ist das ein Alarmsignal für Osteoporose?
Bei jedem Knochenbruch durch nur geringe Krafteinwirkung, wie bei Stürzen aus geringer Höhe, sollte man an eine Osteoporose denken. Frauen haben wegen der Hormonumstellung in den Wechseljahren, bei grundsätzlich schon geringerer Knochenmasse, ein deutlich höheres Risiko. Osteoporose gibt es aber auch bei Männern.
Kann ein älterer Mensch durch die Folgen eines Sturzes leicht seine Selbstständigkeit verlieren und pflegebedürftig werden?
Stürze und seine Folgen führen sehr oft zu Immobilität und Pflegebedürftigkeit, bedingen Schmerzen und vermindern die Lebensqualität. Das Risiko einer älteren Frau, an den Folgen einer Schenkelhalsfraktur zu sterben, gleicht dem Sterberisiko bei Brustkrebs. Bis zu einem Drittel der Patienten nach einer Schenkelhalsfraktur verstirbt innerhalb des ersten Jahres, ein weiteres Drittel bleibt auf Dauer pflegebedürftig.
Gibt es den keine Möglichkeit das Sturzrisiko im Alter zu vermindern?
Einen älteren Menschen nach einem Sturz mit Folgen wiederherzustellen und zu rehabilitieren ist aufwendig und kostenintensiv, oft resultieren daraus, trotz aller Bemühungen, bleibende Einschränkungen und eine erhöhte Pflegebedürftigkeit. Besser ist es da vorzubeugen und das sich mit fortschreitendem Alter stetig wachsende Sturzrisiko einzubremsen.
Die Muskelmasse des Menschen wird leider im Laufe des Lebens immer weniger. Als Erwachsener verliert man pro Jahr im Schnitt ein Prozent seiner Muskelmasse, wenn nicht aktiv mit sportlicher Betätigung dagegen gearbeitet wird (mit sechzig hat man dann vierzig Prozent weniger wie ein Zwanzigjähriger). Auch die Knochen werden bei Bewegungsmangel immer schwächer. Zudem nimmt die Reaktionsfähigkeit im Laufe der Jahre ab, das Gleichgewichtsvermögen wird schlechter.
Die gute Nachricht ist aber, dass man mit regelmäßigem und für den jeweiligen körperlichen Zustand maßgeschneidertem Bewegungs- und Trainingsprogramm sich nicht nur eine bessere Lebensqualität erarbeitet, sondern auch das Sturzrisiko dadurch nachweislich senken kann.
Wohin soll sich ein älterer Mensch dann wenden, wenn er was tun will?
Das Elisabethinen-Krankenhaus bietet in Zusammenarbeit mit dem Kneipp-Verein ein eigenes, wissenschaftlich evaluiertes Trainingsprogramm für Senioren mit dem Namen „Fit für 100“ an. Dieses Programm wurde mit wissenschaftlicher Begleitung an der Sporthochschule Köln entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Bewegungsprogramm zum Aufbau von Muskelkraft und zur Förderung der Mobilität für ältere und hochaltrige Menschen. Das Ziel ist Kraft und Koordination zu fördern, als wichtigen Beitrag zum Erhalt von Lebensqualität und Alltagskompetenz. Anmelden dazu kann man sich direkt im Elisabethinen-Krankenhaus, oder über den Kneipp-Verein Klagenfurt.
Wie funktioniert eine ambulante Geriatrische Remobilisation in der Praxis?
Dem Elisabethinen-Krankenhaus Klagenfurt ist es in den letzten 10 Jahren gelungen mit einem für Österreich neuen, einzigartigen, geriatrischen Modul, der „Ambulanten Geriatrischen Remobilisation“ die Versorgungslandschaft nachhaltig zu verbessern. Damit gibt es die Möglichkeit für geriatrische Teams zu den PatientInnen nach Hause zu fahren und die Therapie dort umzusetzen. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass dies nicht nur für die Betroffenen besser und nachhaltiger, sondern zusätzlich auch noch viel kostengünstiger ist. Inzwischen ist diese Form der mobilen geriatrischen Therapie flächendeckend in ganz Kärnten verfügbar.
Expertentipp:
Welche Möglichkeiten gibt es, einen durch die Folgen eines Sturzes aus der Bahn geworfenen Menschen wieder zur Selbstständigkeit zu verhelfen und eine drohende Pflegebedürftigkeit zu verhindern?
Wichtig ist nicht nur die durch den Sturz gebrochenen Knochen wieder „zusammenzuschrauben“, sondern die meist schon vorher mehrfach kranke/n PatientIn bzw. Patienten, möglichst rasch wieder auf die Beine zu bringen.
Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, gibt es in der Versorgung interdisziplinäre, geriatrische Teams (bestehend aus in Altersmedizin speziell ausgebildeten ÄrztInnen, geriatrisch geschulter Pflege, Physio- und Ergo-TherapeutInnen, PsychologInnen und MitarbeiterInnen der Sozialarbeit). Diese Teams arbeiten in den Krankenhäusern in für genau diese Patienten speziell eingerichtete Abteilungen und Departments für Akut-Geriatrie/Remobilisation. Auch in den Reihen der Praktischen ÄrztInnen gibt es immer mehr Kolleginnen mit geriatrischer Ausbildung und Kompetenz.
Mit speziellen standardisierten Untersuchungen (dem sogenannten Geriatrischen Assessment) wird erhoben wo der/die PatientIn seine Probleme und Defizite hat und vor allem auch wo noch seine Potentiale sind, wo man ansetzen und was man fördern kann. Daraus abgeleitet werden möglichst realistische und auch erreichbare Therapieziele definiert und für jeden ein persönliches, maßgeschneidertes Therapieprogramm definiert. Angestrebt wird immer die PatientInnen wieder möglichst selbständig und selbstbestimmt in ihr jeweiliges soziales Umfeld zu re-integrieren und die notwendige Unterstützung und Fremdhilfe für zu Hause zu organisieren.
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