DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦
Heute folgt der dritte und letzte Teil meiner Kolumnen-Serie über den Iran. Er behandelt die tragischen, bewegenden und fesselnden Geschehnisse der letzten siebzig Jahre. Und bietet eine gute Grundlage, um die aktuellen Proteste und Demonstrationen zu verstehen und in einen grösseren Kontext setzen zu können.
Herzlich willkommen.
Berühmt war der letzte Schah für sein Luxus-, Prunk- und Jetsetleben und seine drei äusserst zauberhaften Gemahlinnen, mit denen er einem Hollywood Star gleich Traumhochzeiten und Trennungsdramen zelebrierte.
Dies wurde nur möglich, weil es ihm in den 50er Jahren gelang, mit den ölfördernden, ausländischen Firmen im Land wesentlich bessere Konditionen auszuhandeln. Die Ölförderung nahm zu, und der Iran wurde weltweit zum zweitgrössten Ölexporteur, zur Militärmacht im Nahen Osten und strategischen Partner der USA.
Nebst seinem Drang zu pompösen Festen und überdimensionierten Staatsanlässen hatte er aber auch eine idealistische Ader. Während seiner Regentschaft entschloss er sich dazu, das Land in einen modernen Staat umzuwandeln. Mit seinem Reformprogramm wollte er den Frauen mehr Rechte gewähren, die Alphabetisierungsrate erhöhen, den Strassenbau fördern, eine grundlegende Agrarreform durchführen und die westliche Lebensweise in der Gesellschaft verankern.
Die geplanten Reformen stiessen aber insbesondere bei den Grossgrundbesitzern, die das Ackerland unter sich aufteilten, und den islamischen Geistlichen auf wenig Gegenliebe. Denn erstere wurden gezwungen, einen überwältigenden Teil ihrer Besitztümer abzugeben und letztere eine Lebensart zu akzeptieren, die ihnen völlig widerstrebte. Die Agrarreform bestand darin, zehntausenden von Kleinbauern und landwirtschaftlichen Angestellten ein eigenes Stück Land zur Bewirtschaftung zu überlassen. Waren sie davor noch bei den Grossgrundbesitzern angestellt, sollten sie nun selbständig werden.
Sein Vater hatte schon den Tschador abgeschafft. Reza Pahlavi wollte den Frauen nun aber das aktive und passive Wahlrecht zugestehen, die weitere Eröffnung von Bars- und Restaurationsbetrieben, den Verkauf von Alkohol und die Ausweitung der Kinos vorantreiben. Kein Wunder, hatte er mit so einem Programm die Mullahs gegen sich.
Die sich anbahnenden Proteste liess er brutal im Keim ersticken. Hierzu setzte er den 1957 gegründeten Geheimdienst Savak ein, der Gegner des Regimes in Folterkammern oder gleich für immer verschwinden liess.
Mit diesem brutalen Vorgehen verlor er nach und nach den Rückhalt in der Bevölkerung. Vor allem aber auch, weil sich aufgrund der schlecht durchdachten Reformen eine säkulare Opposition bildete, die gleichermassen verfolgt wurde.
So entpuppte sich das Frauenwahlrecht als Farce, da nur zwei vom Staat zugelassene Parteien existierten. Die Landreform misslang komplett, denn viele der zugewiesenen Parzellen waren zu klein oder unfruchtbar. Es fehlte an den notwendigen Traktoren, Dünger und Maschinen, um sie zu bearbeiten. Daraufhin flüchteten Millionen von Bauern in die Städte, um als Tagelöhner zu arbeiten. Was dazu führte, dass die Mietpreise explodierten und Grundnahrungsmittel importiert werden mussten. An den Stadträndern entstanden Slums, und die Mittelschicht sah sich plötzlich einer wachsenden Verarmung gegenüber...
1963 kam es zu einem landesweiten Aufstand. Angeführt wurde dieser vom geistlichen Ajatollah Khomeini. Zehntausende gingen auf die Strasse... Der Schah jedoch liess die Demonstrationen mit Panzern und Soldaten niederschlagen. Es gab tausende Tote. Und noch mehr verschwanden in den Kerkern und Verliesen des Regimes. Khomeini musste das Land verlassen und ins Exil gehen.
Dessen ungeachtet lebte im Iran eine korrupte Elite in Saus und Braus. Der Schah und seine Gefolgschaft feierten rauschende Feste. 1967 krönte er sich selbst zum König der Könige auf einem Thron, der mit hunderten von Goldplatten und 26 000 Edelsteinen besetzt war.
28 Prozent des Staatsbudgets flossen an Militär, Polizei und Geheimdienst, als Mitte der 70er Jahre das Zweiparteien-System abgeschafft wurde und nur noch die Schah Einheitspartei die Geschicke des Landes lenkte. Und dann kam 1976 die Ölkrise, und über Nacht sank der Ölpreis ins Bodenlose. Es folgten Rezession, Hunger und Massenarbeitslosigkeit. Man schätzt, dass bis zu 40 Prozent der Bevölkerung hiervon betroffen war.
Was dann geschah, muss man als einen der grössten Volksaufstände in der Geschichte des Nahen Ostens bezeichnen. Es kam zum Generalstreik. Die Wut im Volk führte zu monatelangen Protesten und Massenunruhen. Vorerst verhängte das Regime das Kriegsrecht und bekämpfte die Demonstrationen wo es nur ging.
Doch Khomeini hatte seine Anhängerschaft jahrelang mit Büchern und Audiokassetten aus dem Exil radikalisiert. Im ganzen Land predigten die religiösen Kräfte gegen den Schah und für eine Vision eines zutiefst frommen, islamistischen Staates.
Und den Mullahs gelang etwas ganz Unglaubliches: eine breite Opposition von linken bis rechten Kreisen, Bauern, Nationalisten, ja das ganze Volk schlug Anfang 1979 den verhassten Monarchen in die Flucht. Khomeini kam im Triumph aus dem Ausland zurück und verkündete die Herrschaft der Rechtsgelehrten.
Mit was niemand gerechnet hatte, wurde nun in die Tat umgesetzt: Es begann eine Terrorherrschaft, die sich weit schlimmer ausnahm als diejenige des Schahs.
Als Erstes wurden nicht nur die Anhänger der Monarchie verfolgt und hingerichtet, sondern auch diejenigen der säkularen Oppositionsgruppen, die sich eigentlich mit den Fundamentalisten verbündet hatten. Die Scharia wurde als alleinige Rechtsform erlassen, der Tschador wieder eingeführt, und als zehntausende Frauen dagegen auf die Strasse gingen, wurden sie niedergeknüppelt, verhaftet und teilweise brutal ermordet. Die Iraner hatten - wie die Deutschen in den 30er Jahren die Nazis - die Mullahs völlig unterschätzt.
Am 4. November 1979 besetzen fanatisierte iranische Studenten die US Botschaft in Teheran. Sechsundsechzig Amerikaner wurden als Geiseln genommen und blieben über ein Jahr in Gefangenschaft. Das Geiseldrama sollte Iran auf lange Zeit hin international isolieren.
Neben der Unterdrückung und der internationalen Abschottung litten die Iraner ab Herbst 1980 zusätzlich unter einem Krieg: die Irakische Armee griff den Iran an. Dieser grausame Konflikt sollte fast acht Jahre dauern und je nach Quelle zwischen 500 000 und einer Million Todesopfer fordern. Dabei wurden auf iranischer Seite unzählige Freiwillige, religiös verblendete Gläubige, als Soldaten und tausende von Kindern als menschliche Minenräumer eingesetzt.
Nach dem Tod von Khomeini im Jahre 1989 wurde Ali Chamenei zum obersten Revolutionsführer und somit zum religiösen Oberhaupt, Staatspräsidenten und Oberbefehlshaber der Armee ernannt. Und dies ist er bis heute geblieben. In den über dreissig Jahren seiner Herrschaft sah man gar manche Präsidenten kommen und gehen. Diese der Regierung vorstehenden Politiker wurden mal dem konservativen und mal dem reformorientierten Lager zugerechnet, ohne dass wesentliche Veränderungen in der gesellschaftlichen Ordnung zu verzeichnen gewesen wären. Dies vor allem auch, weil die Institution des Wächterrates seit 2004 praktisch nur noch politische Kandidaten für das Parlament zur Wahl zulässt, die dem konservativen Lager nahestehen.
Wie steht der Iran heute da? Die Wirtschaft wird durch die internationalen Sanktionen aufgrund des Atomprogrammes des Landes massiv geschwächt. Da die Bevölkerung sehr jung ist und stark wächst, steigen Arbeitslosigkeit und Armutsrisiko. Der Ausbildungsgrad der Einwohner ist überdurchschnittlich hoch. Entsprechend lässt sich die Population nicht einfach durch Religion und Nationalismus manipulieren.
Das Land ist sicherlich die wichtigste Macht im Nahen Osten, noch vor Saudi-Arabien, wenn man Israel mal ausnimmt. Die Gegnerschaft zwischen Iran und Saudi-Arabien bestimmt seit Jahren die Politik in der Region. Nach dem Irak Krieg 2003 hat der Iran seinen Einfluss im Irak, im Libanon und zuletzt auch in Syrien erheblich ausgeweitet. Aber das Regime ist nicht wirklich stabil, denn die Menschen haben den Bezug zu ihrem Staat verloren. Sie gehorchen, weil sie auf Schritt und Tritt vom Geheimdienst und von den in den Strassen patrouillierenden Revolutionsgarden überwacht werden. Seit Jahren gibt es Proteste, die immer wieder niedergeschlagen werden. Die Intervalle der Grossdemonstrationen, die sich gegen das Regime richten, werden allerdings immer kürzer.
1999 gingen die Studenten auf die Strasse, um gegen Zensur und für Pressefreiheit zu demonstrieren. 2009 war es dann die politische Opposition, 2017 begann der feministische Kampf, die ersten Frauen nahmen öffentlich den Tschador ab und posierten mit offenem Haar in den Strassen Teherans und 2019 protestierte das Volk wegen den steigenden Benzinkosten.
Die Corona Pandemie hat nochmals alles verschlimmert. Die ungenügende Vorkehrung des Staates, das Herunterspielen der Infektionszahlen, die mangelnde medizinische Versorgung und die schlecht funktionierende Sozialhilfe haben das Vertrauen in den Staat nachhaltig zerstört.
Insbesondere wenn man weiss, dass sich eine Elite von religiösen Führern und Kommandanten der Revolutionsgarden durch Schwarzmarktgeschäfte und die Umgehung der internationalen Sanktionen eine goldene Nase verdient.
Obwohl der Iran aufgrund seiner grossen Vorkommnisse an zahlreichen Rohstoffen und einer sehr gut ausgebildeten Bevölkerung eigentlich ein sehr reiches Land sein könnte, leben viele Menschen unter sehr ärmlichen Bedingungen und können sich nicht mit der religiösen Staatsideologie identifizieren. Dies ist eine tickende Zeitbombe...
Was nun in den nächsten Tagen und Wochen geschehen wird, wissen wir nicht. Wir wissen nur: das Volk ist erwacht.
Ganz liebe Grüsse
Euer Alon
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