DMZ – MEDIZIN ¦ Markus Golla ¦
Personen, die mit krankheitsbezogenen ekelerregenden Videos konfrontiert werden, weisen eine erhöhte Konzentration der Antikörper Immunglobulin A im Speichel auf. Das zeigt eine Studie
von Forschenden des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg mit 116 Testpersonen. Die Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das physiologische Immunsystem, das bisher hauptsächlich als
reaktiv galt, bereits antwortet, bevor ein Pathogen in den Körper gelangt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Brain, Behavior & Immunity – Health“ veröffentlicht.
Das Verhaltensimmunsystem (engl. behavioral immune system, BIS) unterstützt das physiologische Immunsystem (PIS) bei der Bekämpfung von Infektionen und kann sogar das Risiko einer Ansteckung
verringern, indem es Menschen dazu bringt, sich vor Krankheitserregern zu schützen. Es hilft zum Beispiel, Hinweise auf Krankheitserreger (etwa Gerüche oder sichtbare Krankheitsanzeichen) in der
Umgebung zu erkennen oder löst Vermeidungsverhalten sowie Gefühle wie Abneigung oder Ekel aus.
Frühere Studien haben Hinweise auf mögliche Wechselwirkungen zwischen dem BIS und dem PIS gefunden. Die meisten dieser Ergebnisse konnten jedoch nicht wiederholt werden. Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg haben nun in einer Studie weitere Erkenntnisse über die Wechselwirkungen der beiden Systeme und den Einfluss von Ekel- und
krankheitsbezogenen Reizen auf Immunreaktionen gewonnen. Die Veränderungen wurden durch die Konzentration des sekretorischen Immunglobulins A (sIgA) im Speichel gemessen.
Dazu ließen die Forscherinnen 116 Testpersonen (47 männlich, 69 weiblich) verschiedene ekel-auslösende Videos schauen. Zwei der Videos zeigten Situationen, die mit ansteckenden Virusinfektionen
der Atemwege in Verbindung gebracht wurden. Das dritte Video enthielt kein Risiko einer Ansteckung, sondern Situationen, die im Kern Ekel hervorrufen, wie z. B. verdorbene Lebensmittel,
verwesende Tierkadaver oder Kakerlaken. Ein viertes Video diente als Kontrolle und zeigte Landschaftseindrücke. Die Forschenden nahmen Speichelproben, um die Konzentration von Antikörpern (sIgA)
zu messen und ließen die Probandinnen und Probanden Fragebögen zu ihrem Empfinden ausfüllen.
„Es zeigte sich, dass die sIgA-Konzentration bei Testpersonen nach der Stimulation – vor allem bei Videos, die Menschen mit Krankheitssymptomen zeigen – anstieg“, sagt Judith Keller, Erstautorin
der Studie und Doktorandin in der Arbeitsgruppe Neuroendokrinologie am Fachbereich Biologie der Universität Hamburg. Im Durchschnitt erhöhte sich die sIgA-Konzentration nach dem Schauen des
Krankheitsvideos um 83,15 Prozent und nach dem Schauen von Videos mit verdorbenen Lebensmitteln um 44,79 Prozent.
„Dies ist besonders, da das physiologische Immunsystem bisher als hauptsächlich reaktiv gilt, also sonst eher auf ein Pathogen im Körper reagiert. Der Anstieg in unserer Studie spricht dafür,
dass es auch reagiert, bevor das Pathogen in den Körper kommt“, so Keller. Die Forscherinnen nehmen an, dass das BIS also nicht nur psychologische Maßnahmen auslöst, sondern in diesem Fall auch
eine Antwort des PIS stimuliert.
„Allerdings müssen wir einschränken, dass unsere Studie keine direkten Beweise für eine erhöhte Immunität bei Personen liefert“, sagt Juniorprofessorin Dr. Esther Diekhof, Leiterin der
Arbeitsgruppe Neuroendokrinologie am Fachbereich Biologie der Universität Hamburg. „Ein solcher proaktiver Abwehrmechanismus scheint jedoch wahrscheinlich, da sIgA im Speichel eine wichtige Rolle
beim Immunausschluss spielt.“
Zukünftige Studien müssen weiter untersuchen, ob dieser Anstieg von sIgA tatsächlich eine Immunantwort auslöst und somit eine erhöhte Immunität von zum Beispiel Atemwegsviren widerspiegelt, noch
bevor die Schleimhäute mit einem Erreger in Kontakt gekommen sind.
Originalpublikation:
Disease-related disgust promotes antibody release in human saliva, J. K. Keller, C. Wülfing, J. Wahl, and E. K. Diekhof, Brain, Behavior, & Immunity –
Health 24, 100489 (2022).
https://doi.org/10.1016/j.bbih.2022.100489
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