DMZ – POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦
Gesundheitsthemen dominierten heute den zweiten Teil des Hearings im Petitionsausschuss. So forderte eine Petition Bewusstseinsbildung und bessere medizinische Versorgung für Menschen, die am chronischen Erschöpfungssyndrom (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom – kurz ME/CFS) leiden. Eine weitere thematisierte die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und sprach sich konkret für eine Sensibilisierung von Lehrkräften sowie eine Aufstockung der Zahl von Schulpsycholog:innen und Schulsozialarbeiter:innen aus.
Bei beiden Petitionen wurde mehrheitlich beschlossen, weitere Stellungnahmen einzuholen – bezüglich ME/CFS vom Dachverband der Sozialversicherungsträger, der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), der Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS), der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahn und Bergbau (BVAEB) sowie der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) und hinsichtlich der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen vom Gesundheits- und vom Bildungsministerium, der Kinder- und Jugendanwaltschaft Österreich (KIJA) sowie der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit.
ME/CFS: Anerkennung der Krankheit und Ausbau der medizinischen Versorgung
Die Anerkennung, die medizinische Versorgung und die soziale Absicherung von ME/CFS-Patientinnen und -Patienten sowie die Finanzierung der Forschung zur Krankheit fordert eine Petition, die Abgeordnete Heike Grebien (Grüne) einbrachte (80/PET). Das Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere Multisystemerkrankung, von der in Österreich zwischen 26.000 und 80.000 Menschen betroffen sind. Diese leiden an extrem eingeschränkter Leistungsfähigkeit und schwerer Fatigue, was zur Folge hat, dass Alltagstätigkeiten zu großen Herausforderungen oder beinahe unmöglich werden. Laut Petition benötigten die Betroffenen in vier Handlungsfeldern dringend Unterstützung: Bewusstseinsbildung durch Information und Aufklärung der Ärztinnen und Ärzte wie auch der Bevölkerung, Aufbau und Finanzierung medizinischer Behandlungs- und Versorgungsstrukturen, soziale Absicherung der Betroffenen sowie finanzielle Förderung der Forschung zu ME/CFS.
Astrid Hainzl, Vorstand des Vereins CFS Hilfe Österreich, sprach von einer dramatischen Situation der Betroffenen, auf die aufmerksam gemacht werden müsse. Der große und schnelle Zuspruch für die Petition habe demonstriert, wie dringen Betroffene und deren Angehörige Unterstützung benötigten. Die Krankheit sei mit einer erhöhten Reizempfindlichkeit und schweren Zustandsverschlechterungen selbst nach geringen Belastungen verbunden – für Betroffene sei oft ein kurzer Spaziergang zu viel. . ME/CFS sei mit 26.000 bis 80.000 Betroffenen in Österreich keine seltene Krankheit und bereits seit 1969 von der WHO anerkannt. Dementsprechend sei es unverständlich, dass es schon eine Hürde darstelle, eine adäquate Diagnose zu bekommen, geschweige denn eine dementsprechende Therapie. Es gebe keine öffentliche Anlaufstelle und die soziale Absicherung für die Betroffenen sei "mehr als notdürftig", so Hainzl. Durch die Pandemie seien noch weitere Fälle dazugekommen.
Mehrere Abgeordnete gestanden ein, dass sie vor der Befassung mit der Petition die Krankheit nicht gekannt hatten. Hans Hintner (ÖVP) sprach seine Unterstützung für die Petition aus und wünschte sich eine breite parlamentarische Basis für das Anliegen. FPÖ-Mandatarin Edith Mühlberghuber zeigte sich ob der hohen Anzahl der Betroffenen und mangelhafter medizinischer und sozialer Versorgung erschrocken. Sie wollte wissen, welche Therapien gegen die Krankheit helfen würden. Heike Grebien von den Grünen zeichnete das Bild eines "leeren Akkus", der sich bei Betroffenen dieser komplexen Erkrankung nicht mehr richtig aufladen könne. Viele Probleme würde vor allem auch aus der Unkenntnis dieser Erkrankung entstehen. Long-COVID habe zur Bewusstseinsbildung über ME/CFS beigetragen, merkte Fiona Fiedler (NEOS) an.
Das Krankheitsbild sei bereits von Florence Nightingale (1820-1910) dokumentiert worden, berichtete Astrid Hainzl. Nachholbedarf ortete sie bei den Gutachtern, die diese Krankheit oftmals nicht kennen würden, nicht anerkennen wollten oder psychologisierten. ME/CFS sei jedoch keine psychologische, sondern eine neurologische Erkrankung und verlange nach einer dementsprechenden Behandlung. Viele Betroffene würden durch die Gutachter eine falsche oder gar keine Einstufung bekommen. Im Durchschnitt würden Patientinnen und Patienten fünf bis acht Jahre auf eine Diagnose warten, so Hainzl.
Schutz der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Die Corona-Pandemie habe Schäden an der physischen, aber vor allem an der psychischen Gesundheit vieler Kinder und Jugendlicher hinterlassen. Davon zeugten Studien. Depressive Verstimmungen, Angstsymptome und Schlafstörungen hätten sich in den vergangenen Monaten verfünf- bis verzehnfacht. Um gegen diese Krise bezüglich der Kinder- und Jugendgesundheit vorzugehen, brauche es nachhaltige und umfassende Maßnahmen, heißt es in der von den Abgeordneten Yannick Shetty, Martina Künsberg Sarre und Fiona Fiedler (alle NEOS) eingebrachten Petition "Mental Health Now – stärkt unsere Jugend!" (90/PET). Konkret wird gefordert, dass Lehrkräfte im Umgang mit der psychischen Gesundheit der jungen Menschen gezielt geschult werden und das Thema psychische Gesundheit in den Lehrplan integriert wird, um den Schülerinnen und Schülern grundlegende Techniken des Selbstschutzes und der Selbsthilfe mitgeben zu können. Zudem soll die Zahl an Schulpsycholog:innen und Schulsozialarbeiter:innen stark gesteigert werden, sodass für alle Betroffenen eine entsprechende Versorgung gewährleistet werden könne.
Paul Plener, Universitätsprofessor und Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Med-Uni Wien brachte den Abgeordneten anhand eines Abrisses der Datenlage zu psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen näher. Die WHO habe durch die COVID-19-Pandemie eine Zunahme von 28% bei den Depressionen und 26% im Bereich der Angststörungen verzeichnet. Besonders betroffen seien Jugendliche und junge Erwachsene. Etwa die Hälfte von ihnen gebe bei Online-Befragungen an, zumindest an einermittelgradiger depressiven Symptomatik zu leiden. Ein Drittel habe Suizidgedanken und die Zahl der Suizidversuche sei um 200% gestiegen, was dem generellen europäischen Trend entspreche. Auch bei den Essstörungen sei es im Zuge der Pandemie zu einer Zunahme von 83% gekommen, wie Plener ausführte. Um diese Tendenzen flächendeckend zu erfassen und ihnen entgegenzuwirken zu können, sei es zunächst notwendig, ein effektives Monitoring zu betreiben.
Auf die Frage von Fiona Fiedler (NEOS), wie dieser Entwicklung beigekommen werden könne, antworte Plener, dass es ein "mehrschwelliges System" brauche. Neben dem Monitoring benötige es einen niederschwelligen Präventionsbereich, der vor allem an den Schulen in Form von Schulsozialarbeiter:innen, Schulpsycholog:innen und Vertrauenslehrer:innen ausgebaut werden müsse. Jugendliche würden sich viel eher an diese wenden als an Psycholog:innen. Auch über ein dementsprechendes Unterrichtsfach zu Gesundheitsthemen wäre laut Plener nachzudenken und Lehrkräfte müssten bereits in der Ausbildung für dieses Thema sensibilisiert werden. Zudem müsse die psychotherapeutische Versorgung für Kinder und Jugendliche sowohl im niedergelassenen als auch im stationären Bereich ausgebaut werden. Österreich sei weit entfernt von einer ausreichenden Versorgung, so Plener, was langfristig auch volkswirtschaftliche Auswirkungen zeitigen könne.
Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦
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