DMZ – MEDIZIN ¦ Markus Golla ¦
Der Morbus Menière, eine chronisch rezidivierende Erkrankung des Innenohrs, beeinträchtigt meistens die Lebensqualität der Betroffenen stark. Es kommt in unterschiedlicher Frequenz zu
akuten Attacken mit Drehschwindel und einseitiger Hörminderung. Eine prophylaktische Therapie soll die Schwindelattacken und einen dauerhaften, schlimmstenfalls beidseitigen Hörverlust möglichst
verhindern. Neben der symptomatischen Behandlung gibt es die Möglichkeit, Medikamente durch das Trommelfell ins Mittelohr lokal zu injizieren. Eine Metaanalyse [1] gibt nun einen Überblick zur
Evidenzlage und unterstützt die Effektivität intratympanaler Injektionstherapien.
Der Morbus Menière ist durch rezidivierende Schwindelepisoden mit anderen Ohrsymptomen gekennzeichnet. Die Episoden können über viele Minuten bis Stunden andauern. Gleichzeitig kommt es dabei zur
einseitigen Hörminderung, Ohrensausen (Tinnitus) und Ohrdruck und oft auch zu Übelkeit und anderen vegetativen Symptomen (wie Erbrechen, Blässe, Schwitzen) (aktuelle Diagnosekriterien siehe [2]).
Außerdem besteht während der Schwindelattacke ein hohes Sturzrisiko. Auslöser ist ein Flüssigkeitsstau innerhalb des Gleichgewichtsorgans im Innenohr durch eine überschießende Produktion oder zu
geringe Resorption von Innenohrflüssigkeit (Endolymphe). Dadurch kommt es zum Überdruck und Einreißen von Membranen im Innenohr, die zu den Episoden mit Drehschwindel und Ohrsymptomen führen.
Die Erkrankung beginnt meist zwischen der 4. und 6. Lebensdekade, die Lebenszeitprävalenz des M. Menière liegt bei etwa 0,51% – in Europa gibt es ungefähr eine Million Betroffene. Die klassische
klinische Trias aus Schwindel, Hörminderung und Tinnitus ist anfangs nicht immer vorhanden, was die Diagnose erschweren kann. Im Verlauf kommt es bei regelmäßig auftretenden Attacken zu einer
zunehmenden Hörverschlechterung auf der betroffenen Seite. Auch beidseitiges Auftreten ist möglich. Die Menière-Episoden treten in unterschiedlichen Abständen auf und sind praktisch nicht
vorherzusagen. Bei einem Teil der Betroffenen zeigen sich Ohrgeräusch, Ohrdruck oder Hörminderung schon vor der Schwindelattacke. Zwischen zwei Attacken können mehrere Jahre liegen; häufige
Attacken beeinträchtigen die Lebensqualität massiv.
Eine kausale Therapie ist bislang nicht möglich, da die zugrundeliegenden Ursachen nicht vollständig geklärt sind. Im Akutfall werden Medikamente wie Dimenhydrinat gegen Übelkeit und Erbrechen
eingesetzt. Zur Prophylaxe kann Betahistin in hoher Dosierung oder in Kombination mit Selegilin oder Rasagilin helfen (bislang aber keine kontrollierten Studien). Die Wirksamkeit salzarmer
Ernährung, von Kaffee-, Alkoholverzicht oder Diuretika ist nicht belegt. Inzwischen erfolgen in schweren und sonst therapierefraktären Fällen weltweit intratympanale Therapien, d. h. Injektionen
von Medikamenten von außen durch das Trommelfell in das Mittelohr, von wo aus die Resorption ins Innenohr erfolgt. Eingesetzt werden Glukokortikoide sowie das ototoxische
Aminoglykosid-Antibiotikum Gentamicin, welches in hoher Konzentration die Sinneszellen des Innenohrs dauerhaft schädigt bzw. ausschaltet. Der therapiebedingte einseitige Teilausfall des
Gleichgewichtorgans kann vom Gehirn teilweise kompensiert werden. Ein zusätzlicher Hörverlust durch die Therapie ist jedoch möglich, so dass insgesamt die klinische Effektivität und
Therapiesicherheit der intratympanalen Therapien kontrovers diskutiert werden. Eine Metaanalyse evaluierte daher systematisch randomisierte, kontrollierte klinische Studien, die die
intratympanale Gabe von Steroiden versus Gentamicin sowie beide Substanzen jeweils gegen Placebo verglichen. Es wurden zehn Studien eingeschlossen und die Ergebnisse gepoolt (n=455; Alter der
Teilnehmenden 42-65 Jahre; 52,2% Frauen). Alle Studienteilnehmenden litten an einseitigem M. Menière und hatten im Vorfeld nicht auf konservative Therapien angesprochen (z. B. salzarme Diät,
Diuretika und Betahistin).
Bei der Kontrolle des Drehschwindels ergaben sich signifikante Vorteile der Gentamicin- sowie der Steroid-Injektionen (Gentamicin vs. Placebo relatives Risikoreduktion = RR 2,56 und
Glukokortikoide vs. Placebo RR 3,02; – der Unterschied zwischen Gentamicin und den Glukokortikoiden war nicht signifikant). Die Beurteilung des Gehörs erfolgte mittels Tonaudiometrie:
Glukokortikoide hatten gegenüber Gentamicin einen besseren protektiven Effekt auf das Hörvermögen (mittlerer Unterschied der Änderung in der Tonaudiometrie für Gentamicin vs. Glukokortikoide
-6,48 Dezibel). Unter Kortikoid-Therapie kam es zu einer ähnlichen Verschlechterung des Hörvermögens wie unter Placebo, also bei unbehandeltem Erkrankungsverlauf. Nebenwirkungen waren
Injektions-assoziierte Schmerzen, Infektionen und Trommelfellperforation.
Die Studienautoren merken abschließend an, dass bei der Bewertung der Therapieeffektivität sowie für künftige Studien das Phänomen der hohen Spontanremissionen und von Placeboeffekten
berücksichtigt werden müsse. So sei beim natürlichen Verlauf des M. Menière bei 60-80% der Betroffenen im Verlauf von zwei bis acht Jahren mit nachlassenden Symptomen zu rechnen – bis hin zur
vollständigen Remission.
„Die prophylaktische intratympanale Instillation von Gentamicin oder Steroiden wird bereits in der aktuellen, fachübergreifenden Leitlinie von 2021 [3] bei fehlendem Ansprechen auf die
konservative medikamentöse Therapie empfohlen. Die vorliegende Metaanalyse fasst die Evidenz zusammen, d.h. dass beide Substanzen zu einer Kontrolle der Schwindelproblematik führen können“,
kommentiert Prof. Dr. med. Dr. h.c. Michael Strupp, München. „Es sind aber weitere Placebo-kontrollierte Studien mit klinisch relevanten Endpunkten und ausreichender Therapie- und
Beobachtungsdauer – gerade aufgrund des hohen Placebo-Effektes – notwendig. Im Gespräch mit den Betroffenen sollte immer die Bedeutung der Hörminderung bei der Gabe von Gentamicin thematisiert
werden. Zu berücksichtigen ist der mögliche Verlauf der unbehandelten Erkrankung, einerseits mit der Chance einer Remission, andererseits mit drohender Gefahr des fortschreitenden Hörverlustes
und die Entwicklung eines beidseitigen M. Menière in bis zu 40%. Bei der Behandlung ist dann jeweils ein personalisiertes Vorgehen geboten. Wenn notwendig, d.h. bei Versagen einer hochdosierten
Behandlung mit Betahistin oder der Kombinationstherapie von Betahistin mit Selegilin oder Rasagilin, sollten die Injektionen leitlinienentsprechend erfolgen, d. h. in mehrwöchigen Abständen, um
die Innenohrtoxizität so gering wie möglich zu halten.“
Literatur
[1] Hao W, Yu H, Li H. Effects of intratympanic gentamicin and intratympanic glucocorticoids in Ménière’s disease: a network meta-analysis. J Neurol
2022 Jan; 269 (1): 72-86
[2] Lopez-Escamez JA, Carey J, Chung WH et al. Diagnostic criteria for Meniere’s disease. J Vestib Res 2015; 25: 1-7.
[3] S2k-Leitlinie „Vestibuläre Funktionsstörungen“, Herausgeber Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V.
(DGHNO-KHC). AWMF-Register-Nr. 017/078
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/017-078l_S2k_Vestibulaere-Funktionsstoerungen_2021-05.pdf
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