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3G Regel ist ethisch absolut vertretbar

DMZ –  WISSENSCHAFT ¦ Walter Fürst & AA ¦     

KOMMENTAR

 

In der Öffentlichkeit sind Diskussionen um Impfungen ein Dauerthema. Oft werden dabei ethisch relevante Aspekte benannt. Deshalb kommen auch immer wieder Ethiker und Ethikerinnen zu Wort. So auch die Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle. Sie kritisierte in der NZZ, dass man die Grundkonflikte rund ums Impfen nicht offen diskutiere. Der Staat gaukle bei der Impfung eine Sicherheit vor, die es derzeit nicht gebe. Einmal mehr, liegt sie hier falsch und der Verdacht erhärtet sich, dass sich die Ethikerin auf der Seite der Verweigerer sieht. Auch Andrea Büchler, Präsidentin der Nationalen Ethikkommission haut in die selbe Kerbe: "Eingriffe in die persönliche Freiheit dürfen nur erfolgen, wenn sie verhältnismässig sind. Die entscheidende Frage ist dabei, ob es zur Einschränkung der persönlichen Freiheit keine Alternative gibt." Da es diese Alternativen gibt, gibt es keine ethischen Argumente, die gegen eine Impfung sprechen. Anders sieht es der Deutsche Ethikrat. Der unterstützt die 3G-Regel („geimpfte, genesene oder getestete Person“) und hält auch das 2G-Optionsmodell nicht für eine Impfpflicht durch die Hintertür. „Eine Pflicht ist etwas, dem man sich nicht entziehen kann”, sagte die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx dem Hörfunksender NDR Info. Das sei hier nicht der Fall. 

 

Impfempfehlungen und persönliche Impfentscheidungen können nicht allein auf Basis wissenschaftlicher Evidenz getroffen werden. Ob und unter welchen Bedingungen geimpft werden soll, kann nur im konkreten Kontext und mit zusätzlichem argumentativen Rekurs auf ethische Normen und Werte bestimmt werden. Und genau dies wird laufend gemacht.

 

Ethisch relevante Aspekte, Gerechtigkeit und Solidarität

Dazu gehört, dass die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen auf der einen Seite, aber auch der Schutz vor Krankheit des Individuums und der Gesellschaft auf der anderen Seite hohe Werte und Güter darstellen. In der Fachöffentlichkeit wird zudem diskutiert, ob verpflichtende Impfmassnahmen ein probates und akzeptables Mittel sein können. Dabei müssen Impfstrategien auch aus ethischer Sicht in Bezug auf konkrete Kontexte diskutiert werden.

 

Gerechtigkeit will Gleichheit in Bezug auf ein genauer zu bestimmendes Gut. Norman Daniels’ weithin diskutierte Gesundheitsgerechtigkeit beispielsweise will faire Chancen auf normale Lebensmöglichkeiten. Normale Lebensmöglichkeiten bezeichnen dabei die Handlungsmöglichkeiten, die eine Person in einer bestimmten Gesellschaft typischerweise im Vergleich zu anderen Personen gleichen Alters und Geschlechts hat. Für diese Form der Chancengerechtigkeit ist eine faire Verteilung von Gesundheit und ihrer Determinanten – wichtig. Dieses Prinzip steht besonders dafür ein, vulnerablen und benachteiligten Gruppen Chancen zu eröffnen. Dazu gehört die Herdenimmunität zum Wohl der Schwachen und der aufgrund von Kontraindikationen Nichtgeimpften. Dazu gehören aber auch die richtige Aufklärung und aktive Befähigung derjenigen, die wenig Gesundheitskompetenz besitzen, autonome Entscheidungen zu treffen. Letztlich ist es eine gemeinschaftliche Aufgabe und eine Frage der Befähigungsgerechtigkeit, Gesundheitskompetenz zu fördern.

 

Berufsethische Pflicht für Pflegepersonal

Tatsache ist, dass das Pflegepersonal Kontakt mit Patientinnen und Patienten hat. Deshalb könnte man möglicherweise von einer berufsethischen Pflicht sprechen, sich impfen zu lassen – damit man andere nicht gefährdet. Andererseits geht es um das Grundrecht der persönlichen Freiheit.

 

Impfverweigerung

Ein anderer Ethiker, Prof. Dr. Alexander Merkl, sagt zu Impfverweigerung, dass man grundsätzlich das Problem dahinter erkennen müsse, dass nämlich dadurch nur langsamer geimpft werden kann und gegebenenfalls sogar Impfstoff weggeworfen werden muss. Das ist eine unsolidarische Haltung, was moralisch natürlich nicht wünschenswert und problematisch ist.

 

Warum soll ich mich impfen lassen?

"Natürlich einmal, um mich selbst zu schützen. Aber eben auch, um jene, wie man immer so schön gesagt hat, vulnerablen Gruppen zu schützen, um jene zu schützen, die sich aus gesundheitlichen Gründen auch nicht impfen lassen können. Da stehen wir in einer besonderen Pflicht, denke ich. Deswegen sollte das in die Köpfe rein, dass hier nicht nur ich selbst betroffen bin, sondern auch wir als Gesellschaft insgesamt, also auch andere Menschen." (Prof. Dr. Alexander Merkl, Ethiker)

 

Ein weiterer, ethisch gesehen wesentlicherer Grund für Impfungen ist der Fremdschutz. Es geht darum, diejenigen zu schützen, die sich nicht impfen können (oder wollen). Gründe, warum nicht geimpft werden kann, sind mögliche Impfstoffunverträglichkeiten, Immunsuppression (z. B. bei Chemotherapie) und das Alter (zu jung oder, beispielsweise bei Diphtherie, auch zu alt, um die normale Antigendosis zu erhalten). Dass Personen trotz fehlender Kontraindikation nicht geimpft sind, kann auch andere Gründe haben, die ihnen in unserem Gesundheitssystem bisher nicht zum Nachteil gereichen. So sind Patienten oder Eltern oft nicht hinreichend informiert, sind nicht gesundheitskompetent oder es bestehen religiöse Gründe, die zum Verzicht auf eine Impfung führen können.

 

Auch Kinder haben ein Recht auf Schutz vor Virusvarianten

Deswegen sind  die Impfung für Kinder mit diesem Argument nicht auszuschliessen. Man sollte zudem auch sehen: Durch die asymptomatische Übertragung in die Familien durch Kinder, die vielleicht in der Schule, in der Kita mit dem Virus in Verbindung kommen, ergeben sich wieder neue Probleme. Das sollte man alles im Blick behalten.

 

Ethische Kriterien

Ethik stellt die Frage nach dem „Sollen“. Was soll ich tun? Oder, konkret auf den hier vorliegenden Zusammenhang bezogen: Wie sollen öffentliche Institutionen und Einzelpersonen in Bezug auf Impfen ethisch überzeugend handeln? Für eine Impfethik können verschiedene normative Gesichtspunkte benannt werden, die hier eine Rolle spielen. Konkret kann die Frage nach dem „Sollen“ aus Sicht öffentlicher Institutionen heissen: Welche Impfung wird empfohlen und von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert? Genauer: Wem soll wie Zugang zu welcher Impfung gegeben werden? Aus individueller Sicht heisst es aber auch, zu fragen, ob eine persönliche Impfpflicht vorliegt – ob man sich also aus moralischen Gründen, zum Schutz anderer und nicht aus Eigeninteresse, impfen lassen sollte.

 

Eigene Entscheidung - autonome Entscheidung

Für eine wirklich freie, autonome Entscheidung muss man wissen, was die möglichen Folgen einer Handlung oder Unterlassung sind. Wer wirklich autonom handelt, handelt so, dass die Handlungs- oder Unterlassungsfolgen die Freiheit anderer Menschen nicht ungerechtfertigt einschränken. Wer Autonomie schätzt, muss letztlich auch Wissen hochachten. Mit „Wissen“ ist hier nicht nur beliebige Information, sondern wissenschaftlich gesichertes Wissen gemeint. Es bedarf eines hohen Grades an Autonomie, um kritisch mit Wissen umzugehen und eine gute informationelle Handlungsbasis zu gewinnen. Meist sind diese Voraussetzungen bei Impfgegnern nicht gegeben.

 

Es ist der Autonomie nicht zuträglich, dass Informationen über Impfungen, die über Internetsuchdienste oder sonstige Medien transportiert werden, oft unfundiert und tendenziös, wenn nicht gar manipulierend und verschwörerisch gegen Impfungen sprechen. Ebenso lassen sich Echokammereffekte bei sozialen Medien beobachten: Unfundiert informierte Impfkritiker diskutieren nur untereinander und verstärken so ihre unhaltbare Kritik. Zugleich können aber natürlich auch Proimmunisierungsinformationen im Internet (und anderen Medien) tendenziös sein, bspw. auf Webseiten, die von der Pharmaindustrie gesponsert werden. Kurzum, es ist wichtig, dass Personen gut über die Vor- und Nachteile von Impfungen für sich selbst und andere aufgeklärt werden, um wirklich autonome Entscheidungen treffen zu können.

 

Von Ethikerinnen und Ethikern wird erwartet, dass sie möglichst objektiv die unterschiedlichen Positionen zu einem Thema darlegen. Nur so kommen wir in der Gesellschaft in der Impffrage weiter und zum Ergebnis, dass eine  Impfung durchaus ethisch vertretbar ist und nur mit der Impfung erreicht werden kann, dass das Virus nicht mehr unseren Alltag bestimmt.


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