DMZ – WISSENSCHAFT ¦ BILDUNG ¦ Anton Aeberhard ¦
Es sind nicht die Menschen kritisch, die an Verschwörungstheorien glauben, sondern genau diejenigen, die von Verschwörungstheoretikern gerne als Schlafschafe und mainstreamgesteuert bezeichnet werden. Nicht die Verschwörungstheoretiker hinterfragen und bemühen Quellen, sondern die gechippte Herde.
Wer an Verschwörungen glaubt, denkt tendenziell weniger kritisch - eine neue Studie zeigt diese neue Facette auf. Verschwörungsgläubige Menschen sehen sich selbst als sehr kritisch denkende Personen - was aber eben genau nicht zutrifft.
Gefühlter Kontrollverlust und Misstrauen gegenüber der Politik scheinen bei manchen durch die Corona-Pandemie verstärkt worden zu sein. Verschwörungstheorien sind deshalb aber nicht erst im aktuellen Zeitalter von Social Media und Fake News Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung geworden. Bereits Popper setzte sich mit ihnen auseinander; seine Definition lautete: Eine solche "Theorie behauptet, dass die Erklärung eines sozialen Phänomens in dem Nachweis besteht, dass gewisse Menschen oder Gruppen an dem Eintreten dieses Ereignisses interessiert waren und dass sie konspiriert haben, um es herbeizuführen."
(Popper 1992 [1957]), 112).
Verschwörungstheorien werden nicht deshalb geglaubt, weil sie rational und kognitiv überzeugend wären, sondern weil sie u. a. dazu beitragen, das eigene Weltbild zu festigen (Salzborn 2017); sie erfüllen also spezifische individuelle Bedürfnisse. Dementsprechend werden ihnen verschiedene Funktionen attestiert, die anscheinend in Gegenwartsgesellschaften weiterhin von besonderer Bedeutsamkeit sind, wird die hohe Anzahl und Verbreitung verschiedener zirkulierender Verschwörungstheorien betrachtet (u. a. 9/11-Verschwörungstheorien, Leugnung der Mondlandung, Reichsbürgerbewegung, Chemtrails).
Corona Verschwörungstheorien auch ausserhalb "Social Media"
Aber eben auch ausserhalb Sozialer Medien gibt es Verschwörungsglauben im Zusammenhang mit Corona. So ergab z.B. in Grossbritannien etwa eine gross angelegte Umfrage von 2020, dass jeder fünfte glaubt, dass die Covid-19-Todesrate nach oben geschraubt worden sein könnte.
Eine erste wichtige Erkenntnis des Forschungsbereichs um Verschwörungstheoretiker besteht darin, dass Personen, die einer Verschwörungstheorie anhängen, auch dazu neigen, anderen Verschwörungstheorien Glauben zu schenken. Der Sozialpsychologe Serge Moscovici bezeichnet dies als
"Verschwörungsmentalität". Dieses Konzept konnte in zahlreichen Untersuchungen empirisch belegt werden, namentlich in einer Studie, die 2007 in Zusammenarbeit mit dem Psychologieprofessor Adrian Bangerter in der Schweiz durchgeführt wurde.
Aus verschiedenen Studien weiss man bereits, dass bestimmte Faktoren Menschen besonders anfällig für die Verschwörungsmentalität machen, etwa ihr geringes Bildungsniveau oder der Wunsch, sich einzigartig zu fühlen.
Auf soziopolitischer Ebene wurde die Verschwörungsmentalität in zahlreichen Forschungsarbeiten mit einem Gefühl der Anomie – einer Mischung aus Misstrauen gegenüber den Behörden, dem Gefühl, keine Kontrolle über sein Leben zu haben, und Unzufriedenheit – sowie mit einer extrem rechten (und manchmal, wenngleich seltener, extrem linken) Gesinnung in Zusammenhang gebracht.
Durch diese Merkmale wird der Glaube an Verschwörungstheorien zu einer spezifischen politischen Haltung, die für gesellschaftliche Randgruppen charakteristisch ist. Ein Beispiel hierfür ist die schwarze Minderheit in den USA, wie die Sozialpsychologin Jennifer Crocker aufzeigte.
Auf Ebene der Persönlichkeit besteht ein Zusammenhang zwischen dem Glauben an Verschwörungstheorien und bestimmten tendenziell pathologischen Merkmalen wie der Schizotypie – eine Persönlichkeitsstörung, die durch Paranoia (das Gefühl, beobachtet zu werden, dass andere einem etwas verübeln und so weiter) sowie durch eine zur Isolation führende Sozialphobie gekennzeichnet ist und mit wahnhaften Verhaltensweisen und Gedanken einhergeht. Damit verbunden sind abergläubische, magische oder paranormale Überzeugungen, die bei Anhängern von Verschwörungstheorien ebenfalls häufiger zu beobachten sind.
Eine neue Studie zeigt nun eine weitere Facette dieser Mentalität auf: kritisches Denken. Eine Forschungsgruppe um den französischen Sozialpsychologen Anthony Lantian fand nämlich heraus, dass der Glaube an Verschwörungstheorien umso geringer ist, je höher das Niveau des kritischen Denkens ist. Er deckte allerdings nur eine Korrelation auf, nicht einen Kausalzusammenhang.
In zwei Studien nahmen Testpersonen u.a. an einer Aufgabe zum kritischen Denken teil: Sie wurden aufgefordert, einen Leserbrief kritisch zu bewerten. Dabei stand das Erkennen guter Argumente, das Aufzeigen anderer Erklärungen und das Vermeiden von Übergeneralisierung im Fokus.
Die Forschungsgruppe fand heraus, dass die Teilnehmenden umso weniger an Verschwörungstheorien glaubten, je besser sie bei dieser Aufgabe zum kritischen Denken abschnitten. Interessant ist, dass die verschwörungsgläubigen Personen ihre Fähigkeiten des kritischen Denkens nicht realistisch einschätzen konnten. Sie sahen sich selbst als sehr kritisch denkende Personen.
Das macht Sinn, wenn die Narrative der Anführenden von Verschwörungsbewegungen eingehender betrachtet werden. Sie und ihre Anhängerinnen und Anhänger stellen sich oft als kritische oder freie Denker dar, die dort das Licht sehen, wo andere es nicht sehen können.
Diese Ergebnisse aus der Sozialpsychologie könnten nützlich sein, wenn es darum geht, Interventionen zu entwickeln, die verschwörerisches Denken abmildern können. Wie dies gemacht wird, muss aber sorgsam abgewogen werden. Wenn jemand an eine bestimmte Verschwörungstheorie glaubt, ist es unwahrscheinlich, dass er davon Abstand nimmt, wenn man ihm sagt, dass es ihm an kritischem Denken mangle. Stattdessen könnte ihn dies in seinen Überzeugungen bestärken, wie die Forschenden betonen.
Weitere Studien könnten untersuchen, warum kritisches Denken vor Verschwörungsmentalität schützen kann. Interessant wäre auch, den Grad des konspirativen Denkens zu erforschen.
Viele Fragen sind noch zu beantworten, u.a. auch:
- Wann kippt jemand von gesunder Skepsis in die Verschwörungsmentalität?
- Wo ist die Grenze zwischen einer kritischen Auseinandersetzung mit dem, was Journalistinnen oder Politiker erzählen, und dem Abstempeln von Qualitätsnachrichten über politische Gegebenheiten als «Fake News»?
Lantian, A., Bagneux, V., Delouvée, S., & Gauvrit, N. (2021). Maybe a free thinker but not a critical one: High conspiracy belief is associated with low critical thinking ability. Applied Cognitive Psychology. doi: 10.1002/acp.3790
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Manni (Freitag, 07 Mai 2021 11:52)
Dazu hätte es keine Studie gebracht, man kann auch so erkennen, dass die VTler nur noch dummes Zeug, was ihnen vorgesetzt wird, nachplappern.