DMZ – KULTUR ¦ Anton Aeberhard ¦
KOMMENTAR
Wieso Kulturschaffende eben Kulturschaffende sind und keine Politiker, Medienschaffende oder Experten, zeigt sich einmal mehr eindrücklich mit der wohl dümmsten und naivsten Aktion der Geschichte. Erste Akteure rudern bereits zurück und bereuen ihre dumme Aktion offen.
Aus der Rechten Ecke und Schwurbler - Community kommt Zustimmung – aber viele Prominente sind entsetzt über die Aktion #allesdichtmachen etlicher Künstler.
Nora Tschirner und andere finden deutliche Worte. Ulrich Tukur fordert die Schliessung aller Lebensmittelgeschäfte, Meret Becker betet von einem überdimensionalen Zettel einen ironischen Text über Schutzmasken vor, Richy Müller atmet abwechselnd in zwei Tüten: Dutzende Schauspielerinnen und Schauspieler haben in Videos mit ironischen und sarkastischen Beiträgen die Schutzmassnahmen zur Eindämmung der Pandemie kritisiert.
Hinter der Aktion steckt die Münchner Firma Wunder Am Werk GmbH. Wer das Projekt unter dem Hashtag #allesdichtmachen koordiniert hat und was genau damit bezweckt wird, ist noch nicht ganz klar. Die Reaktionen fallen aber schon jetzt zum Teil sehr deutlich aus: Es gibt viel Empörung.
Rechts freut's
Begeistert reagierte etwa der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. Der CDU-Rechtsaussen bezeichnete die Aktion auf Twitter als »grossartig« und die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar twitterte, sie feiere Jan Josef Liefers für dessen Medienkritik: »Das ist intelligenter Protest.«
Von vielen anderen Prominenten gab es indes scharfe Kritik. »Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben«, twitterte Moderator Tobias Schlegl, der auch Notfallsanitäter ist. Der Schauspieler Marcus Mittermeier kommentierte: »Niemand hat mich gefragt, ob ich bei #allesdichtmachen mitmachen will. Gott sei Dank!« Die stumpfste Waffe gegen die Pandemie, so formulierte es der Pianist Igor Levit auf Twitter, sei »schlechter, bornierter Schrumpfsarkasmus, der letztendlich bloss fader Zynismus ist, der niemandem hilft. Nur spaltet.«
Der Medienjournalist Stefan Niggemeier schrieb von »ekliger Ironie« und einem »Dammbruch«, der zugleich der »grösste Erfolg der Querdenkerszene bisher« sei. Der Grünen-EU-Abgeordnete Erik Marquardt befand, die Aktion sei ein »Ausdruck einer zunehmenden Resignation von eigentlich Vernünftigen«.
Weitere prominente Schauspieler mischten sich via Instagram in die Diskussion ein. Elyas M'Barek schrieb: »Mit Zynismus ist doch keinem geholfen.« Jeder wolle zur Normalität zurückkehren, und das werde auch passieren. Hans-Jochen Wagner nannte die Aktion peinlich. Er verstehe sie nicht, schrieb der Schauspieler und sagte in Richtung von Jan Josef Liefers: »Das kann doch nicht Dein Ernst sein.«
Liefers distanziert sich – aber nicht von seinem Beitrag
Liefers hatte die Berichterstattung vieler Medien über die Pandemie auf sarkastische Art scharf kritisiert. Er distanzierte sich mittlerweile von vielen, die seinen Videobeitrag feierten: »Eine da hinein orakelte, aufkeimende Nähe zu Querdenkern u.ä. weise ich glasklar zurück«, schrieb der 56-Jährige auf Twitter. »Es gibt im aktuellen Spektrum des Bundestages auch keine Partei, der ich ferner stehe, als der AfD. Weil wir gerade dabei sind, das gilt auch für Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker, Corona-Ignoranten und Aluhüte. Punkt.« Umso naiver erscheint dann sein Mitwirken bei dieser gesteuerten und kopflosen Aktion.
Dass sich gerade Rechtsextremisten und Verschwörungsgläubige von der Aktion bestätigt fühlen, überraschte einige von Liefers Kollegen indes nicht. Christian Ulmen etwa fühlte sich an den rechten Verschwörungserzähler Ken Jebsen erinnert, wie er schrieb: Jebsen »hätte es nicht schöner sagen können«.
»Echt ja, Leude?«, fragte Nora Tschirner auf Instagram. »Kann halt sein, dass man sich ein büschn schämen wird in ein paar Jahren (Wochen?)«, schrieb sie und ergänze: »Unfuckingfassbar.« Sie warf den Machern der Clips Handeln aus Langeweile und Zynismus vor – und schlug einen alternativen Hashtag vor: #allesschlichtmachen.
Der Satiriker Jan Böhmermann hielt der Aktion auf Twitter entgegen, das einzige Video, das man sich ansehen solle, »wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmassnahmen hat«, sei eine ARD-Dokumentation: Die Produktion mit dem Titel »Station 43 – Sterben« entstand während der Pandemie in der Berliner Charité.
Viel Kritik
Mit ihrer Kritik an der Corona-Politik unter dem Hashtag #Allesdichtmachen haben Dutzende prominente Schauspieler richtigerweise vor allem viel Kritik erfahren. Euphorisch geteilt wird die Aktion #Allesdichtmachen im Netz unter anderem von Michael Ballweg, Gründer und Kopf der vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppe "Querdenken-711".
Als Reaktion auf dieses Unterstützerfeld artikuliert Liefers nun seine nachträgliche Rechtfertigung: "Ich setze mich kritisch mit den Entscheidungen meiner Regierung zu SarsCoV2 und Covid 19 auseinander", schreibt er und behauptet, vor allem wegen "der in Kauf genommenen Verluste in Kultur und Kunst und der Veranstaltungsbranche" an der Kampagne teilgenommen zu haben. Er erklärt: "Ich bin bei all denen, die zwischen die Fronten geraten sind, den Verängstigten, den Verunsicherten, den Verstörten und Eingeschüchterten, den Verstummten, den Sensiblen, den Hin- und Hergerissenen."
Liefers erwähnt jetzt "Mediziner, MTA und Pflegekräfte".
Dass viel Kritik an der Kampagne laut wurde, weil seit mehr als 13 Monaten vor allem Pfleger, Ärzte, Krankenschwestern und medizinisches Personal unter der Pandemie leiden und 80.000 Menschen allein in Deutschland an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung verstorben sind, wird zu spät verstanden von den fehlgeleiteten Kulturschaffenden, die ihrer Branche einen massiven schaden zugefügt haben.
Ein Kommentar von Moni Drechsler zu Liefers trifft es gut: "Schade....Sie sprechen von manipulativ und machen in Ihrem Video exakt das, was Sie anprangern, Sie manipulieren.
Sollte das eine Art Satire sein, muss ich sagen Sie haben schon weit bessere Rollen gespielt.
Nennen Sie doch Ross und Reiter....WER manipuliert, WELCHER Experte wird nicht gehört?
Eine MEINUNG bildet man sich nicht allein aus den Medien. Es gibt Fachliteratur und die meisten Dinge lassen sich relativ einfach verifizieren, wenn man sich nicht ausschliesslich auf die Sekundärquelle (Medien) verlässt sondern sich die Primärquelle anschaut. Gehört nicht exakt DAS zu einer MeinungsBILDUNG?
Faktenbasierter, untendenziöser Journalismus? Den musste man schon VOR dieser Pandemie mit der Lupe suchen. Das ist definitiv kein auf Corona fussendes "Problem"...
Ich bin erstaunt, dass Sie so tun als habe sich hieran seit dieser Pandemie etwas verändert . Oder ach nein....eigentlich bin ich nicht erstaunt, dass Sie das tun....denn Sie möchten ja durch Ihr Video etwas erreichen .....und bedienen sich dabei derselben Mittel, die Sie verurteilen."
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